Presseecho

Bereit für die großen Bühnen

Interview mit Bernd Gürtler, SAX 9/2023

Weltgewandt vom Scheitel bis zur Sohle, das Album könnte genauso einer der Megametropolen des uns bekannten Populärmusikuniversums entsprungen sein. Nun trifft es zwar zu, dass Schlagzeug und einige Instrumentalparts in Großbritannien eingespielt wurden, auch die englischen Songtexte verfasst von einem Muttersprachler. Ausgetüftelt aber hat ein Dresdner "Be Yourself In 11 Easy Lessons", in seinem Miniprobenraum am Ort. Hallam London heißt der kreative Kopf hinter den Songs, die mehr wollen, als bloß ganz vorn mitzumischen, wie die Interviewverabredung ergab.

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Erlösung im Rock’n’Roll

Hallam London lieferte in der Tonne ein sensationelles Konzert ab.

Sa, 17. Dezember 2022, Dresdner Neueste Nachrichten

von Beate Baum

Foto eines gedruckten Zeitungsartikels mit vier Spalten und einem spaltenübergreifenden Portraitfoto von Hallam London

Ich habe die Zukunft des Avantgarde-Rocks gesehen, und ihr Name lautet Hallam London. Kann das wahr sein? Ist das da oben auf der Tonne-Bühne wirklich eine Dresdner Band? Nichts gegen Dresden, und natürlich hat die Musikhochschule schon so manches Talent hervorgebracht - aber das hier ist doch eine Klasse für sich. Da kann wirklich die bekannte Reaktion Jon Landaus auf ein Konzert Bruce Springsteens herangezogen werden. Denn was im Hier und Jetzt in dem kleinen Jazzclub passiert, erfüllt die alte Sehnsucht nach der Erlösung im Rock’n’Roll.

Ein Derwisch, ein Schamane, jemand, der sich auf der Bühne auslebt, als wäre er dafür geboren. Hallam London, der junge Mann - schreiben wir jetzt einfach mal, trotz des androgynen Auftretens und all der Songs, die sich um das Thema Identität drehen -, über den man erstaunlich wenig im Netz findet, ist ein Phänomen. Schon seine Vertonungen von Shakespeare-Sonetten vor sechs Jahren war ein starkes Stück Post-Rock und wurde zu Recht von Kritikern gefeiert. Was er nun jedoch unter dem Titel „Be Yourself in 11 Easy Lessons“ (Sei du selbst in 11 einfachen Lektionen) herausbringt, ist noch einmal ein gewaltiger Schritt nach vorn.

Als Record-Release-Konzert angekündigt, wird es das Album doch erst im Mai geben, so London in der Tonne. Der nicht so heißt, kein Engländer, sondern Deutscher ist, und trotz seines jugendlichen Aussehens bereits eine facettenreiche musikalische Entwicklung durchgemacht hat. Wenn jedoch jemand so hingebungsvoll eine künstlerische Persona aufbaut und darin und damit authentisch agiert und nicht albern wirkt, wie man es ja leider viel zu oft erlebt - dann stricken wir gern ein bisschen am Mythos mit.

Vorerst also noch kein Album, sondern die Stücke werden sukzessiv als digitale Singles herausgebracht. Und es gab sie zu hören, live, in der Tonne. Insofern also doch eine Premiere und eine, von der diejenigen, die dabei waren, wohl noch lange reden werden. Aber wie klingen sie denn nun, die elf einfachen Lektionen, man selbst zu sein? Nun, im Wesentlichen danach, dass jeder und jede dazu eine E-Gitarre braucht und drei gute Freunde, die ebenfalls an die Heilkraft des Rock’n Roll glauben. Dann muss enormes handwerkliches Können an den Instrumenten hinzukommen, ganz viel Drive und Druck - und eine kleine Prise jenes Elixiers, das alle so gern hätten. Das zwar auch nach Jahrzehnten noch nicht gefunden wurde, nicht im Labor isoliert, nicht von Forschern benannt werden konnte - von dem aber klar ist, dass es aus solider Mugge etwas Großes macht, etwas, das die Müden aufweckt, die Frierenden wärmt, alle gemeinsam in eine andere, bessere Zukunft trägt.

Hallam London hat sich vom Sampling über Elektronik-Spielereien dem Rock zugewandt. Auch live greift er selbst immer mal wieder zur E-Gitarre, vor allem aber hat er dafür die richtigen Leute an Bord: Jonathan Zielke, ebenfalls Absolvent der Hochschule für Musik, steht anfangs stoisch, mit teilnahmslosem Blick auf seiner Position (die Band hat sich vor einem abstrakten schwarz-weißen Hintergrundbild regelrecht aufgereiht), gibt aber von Anfang an mit seiner E-Gitarre ungeheuren Druck auf den Kessel. Leonhard Endruweit am E-Bass - vor allem Dresdner Theatergängern bekannt für seine Einsätze bei interessanten Stücken - steht ihm in nichts nach. Fabian Buchenau - Alternative-Drummer aus Leipzig - am Schlagzeug bleibt eher im Hintergrund und sorgt für das richtige Fundament, auf dem London seine großartige, volle Stimme entfalten und seine Persona als Paradiesvogel fliegen lassen kann.

Hallam Londons Kostüm hat Federärmel, darunter trägt er ein Rocker-Shirt. Frisur und Schminke erinnern an alte David-Bowie-Aufnahmen, die Bewegungen sind divenhaft-theatralisch. Aber: Alles passt. Alles funktioniert. Der Gesang hat hypnotische Qualitäten, und London setzt sie ein. Auf sein „It’s me again“ (Ich bin es wieder) haben die zahlreich erschienenen Besucher gewartet. Von Anfang an stürzen sie sich mit Begeisterung in das Konzert, tanzen im wieder frei geräumten Tonne-Raum, folgen hinterher gar einer Aufforderung des Gitarristen, kollektiv in die Hocke zu gehen.

Beim ersten Mal Hören ist leider wenig von den Texten des englischen Dichters Ian Badcoe, mit dem London für die Stücke zusammengearbeitet hat, zu verstehen. Was ankommt, trifft jedoch ganz offenbar den Nerv einer empfindsamen, verletzten Generation. „If I can just survive“, heißt es da (Wenn ich nur überleben kann) - eine absolut selbstbestimmte Beschwörung.

Der Vierer steht das erste Mal zusammen auf der Bühne, sagt ein emotional angefasster London bei seiner Begrüßung. Und man kann nur konstatieren: Bitte noch ganz oft! Gebt uns viel, viel mehr von dieser Musik, die nach vorn getrieben wird von Gitarren und Londons Persönlichkeit. Dieser Musik, die jenes geheime Elixier in sich trägt und es verschwenderisch ausreicht an die, die Ohren haben zu hören.

Stark im Kern

Mit neuen Songs und neuer Band spielt der Dresdner Musiker Hallam London am Donnerstag im Jazzclub Tonne.

Di, 13. Dezember 2022, Dresdner Neueste Nachrichten

von Andreas Körner

Foto eines gedruckten Zeitungsartikels mit vier Spalten und einem spaltenübergreifenden Portraitfoto von Hallam London

„Harte Staccato-Beats, bissige Gitarren- und Bassriffs, eckige New-Wave-Vocallines, gebrochen von blühenden Akkordfolgen und großen Melodiebögen. Die Songs ... atmen zugleich britische Rockmusikgeschichte von den Beatles über Bowie und Radiohead bis zu den Arctic Monkeys. Keine Schublade ist groß genug und doch klingt alles aus einem Guss.“ Selten genug treffen Pressemitteilungen auf Künstlerseiten ins Schwarze und bedürfen kaum der beschwichtigenden Korrektur. Im Falle des in Dresden lebenden Komponisten, Sängers und Gitarristen Hallam London aber ist es so. Vor seinem nächsten Start mit neuen Songs und neuer Band nehmen wir den Gesprächsfaden von 2014 neu auf. Damals hatte er eine Platte mit eigenwillig vertonten Sonetten von William Shakespeare aufgenommen. Es war ein starkes Stück. Andreas Körner traf Hallam London erneut zum Interview.

Frage: Was ist für Sie vom Shakespeare-Projekt essenziell geblieben?

Hallam London: Auf jeden Fall mein Start als Solokünstler. Es war ja mein erstes richtig eigenes Projekt. Ich habe damals begonnen, völlig neue kompositorische Wege zu gehen und mich selbst aufzunehmen. Es gibt auch ganz praktische Nachwirkungen, weil ich weiterhin mit Menschen in Kontakt bin, die das Album großartig finden. Das gibt mir Aufwind, wenn ich in eine Schaffenskrise komme. Und es ergab sich daraus eine direkte Zusammenarbeit mit der Regisseurin Carola Söllner.

Für Theater oder Film?

Ich habe zwei Theaterprojekte mit Söllner realisiert. Das erste 2019 bei den Burgfestspielen Mayen in der Eifel mit Oscar Wildes „Ernst sein ist wichtig“, eine Komödie, die für mich als eher melancholisch veranlagter Mensch echt eine Herausforderung war. Das zweite Stück hatte kürzlich in Brandenburg an der Havel Premiere, „Was ihr wollt“ von William Shakespeare.

Da ist er ja wieder …

Ja, durchaus, aber es wird dort in Brandenburg noch ein drittes Projekt geben. Söllner schreibt an einem eigenen Stück zum Thema Panik, Mensch und Natur. Es wird ein performatives Stück für eine Schauspielerin und einen Livemusiker. Der werde ich sein.

Hört man das aktuelle Hallam-London-Material, wird eines offensichtlich: die Wiederentdeckung der elektrischen Gitarre. Im DNN-Interview von 2014 sprachen Sie noch davon, das Instrument sei mehr und mehr nur Hilfsmittel geworden und Sie seien „zurzeit ohne Ehrgeiz, besondere Virtuosität zu erlangen.“ Was hat sich da wirklich verändert? Ist der Ehrgeiz da?

Für mich ist die Gitarre immer noch eher ein Werkzeug, um Sounds zu bauen, die ich hören will, sei es beim Komponieren oder auf der Bühne. Für die neuen Lieder habe ich auch begonnen, Bass zu spielen, weil für mich von Anbeginn klar war, dass ich von der Elektronik und den vielen Effekten des Shakespeare-Projektes wieder weg will, hin zum Livegedanken. Ich will es in relativ kleiner Besetzung einfach rocken lassen.

Rocken lassen im Sinne von Klangidee und Energie oder wirklich als Form der Präsentation? Anders gefragt: Hat sich Ihre Lust auf live so gar nicht abgeschwächt?

Zwischendurch schon sehr. Da waren alle Songs der kommenden Platte und noch ein paar mehr bereits fertig. Es war ein echtes Tief, was auch an der geringen Resonanz auf die Shakespeare-Sonette zu tun hatte. Das und auch die herben Rückschläge beim Buchen von Auftritten haben mich richtig frustriert. Seit eineinhalb Jahren nimmt meine Lust auf Bühne allerdings wieder stark zu.

Wie kommt man als Künstler, der auf beträchtlich hohem Niveau agiert, nebenbei aber einen völlig anderen Tagesjob hat, aus solchen Tälern heraus?

Bei mir hatte es tatsächlich mit Söllner zu tun. Durch sie und ihre Anerkennung wurde mir klar, dass es da draußen tatsächlich Menschen gibt, die das, was ich mache, schätzen. Es geht also vorrangig darum, sie zu finden. Ich habe mir einen Produzenten gesucht, bin 2018 nach Sheffield zu Dave Sanderson gefahren, wobei wir dann im Entstehungsprozess des neuen Albums viele meiner Voraufnahmen nutzen konnten. Der zweite entscheidende Punkt war das Regenerieren des Kontakts zu Nicole Wiese, die als Performance-Coach und Show-Designerin unterwegs ist und unter anderem die letzte Kraftklub-Tour betreut hat. Sie hat es geschafft, tatsächlich wieder den Künstler in mir freizulegen, der lange Zeit vergraben war, weil ich eben auch Alltagsmensch bin, der morgens auf Arbeit geht und sich nachmittags um die Kinder kümmert. Mein Fokus hat sich wieder etwas verschoben und mein Anspruch auch. Es macht wieder Spaß, mit einer Band zu proben. Ich spüre, dass ich wieder auf die Bühne will.

Was bedeutet die Bühne für Sie?

Es geht um direktes Feedback. Ich glaube an meine Songs, ich will sie performen und zwar mit dem richtigen Druck einer guten Band. Die habe ich jetzt. Schon bei den Proben spüre ich das Gefühl, dass ich die Menschen an die Angel bekommen will.

Ist es ein richtiger Neustart für Sie?

Das ist es, obwohl ich natürlich alles mit mir herumtrage, was ich schon erlebt habe, vor allem das Positive.

Sie sagten, dass die Lieder, die Sie jetzt bringen werden, schon vor einiger Zeit entstanden sind. Was macht sie so stark, dass sie überlebt haben?

Das ist schwer zu beschreiben. Aber ich kann mich heute tatsächlich hinsetzen und die Lieder ohne jeglichen Verlust von Spaß hören und auch spielen. Sie sind einfach stark im Kern. Dabei bin ich durchaus ein selbstkritischer Komponist, lasse vieles gar nicht erst entstehen oder werfe schon Geschriebenes wieder weg. Das aber, was produziert wird, hat für mich Bestand und hebt zuallererst mich selbst an.

Es sind aber auch wirklich im guten Sinne zeitlose Songs mit Dynamik und Kraft, die sich nicht um Strömungen kümmern, frei sind von starren stilistischen Zuordnungen.

Wie gesagt, als ich zu David Sanderson gefahren bin, waren die Stücke substanziell im Grunde fertig. Bass, Gitarre und Gesang hatte ich in meinem kleinen Studio aufgenommen, das Schlagzeug am Computer programmiert. In Sheffield kamen dann zwei Drummer hinzu, bevor es über Monate hinweg ans Mischen und Mastern ging.

Nach William Shakespeare haben Sie wieder mit der Lyrik eines Dichters gearbeitet, mit Ian Badcoe, der mehr ist als ein Liedtexter. Wie kam das?

Sonette sind im Aufbau sehr ähnlich, wobei ich in der Bearbeitung nach und nach durchaus freier herangegangen bin. Nichtsdestotrotz blieb es ein eher einengendes Format. Da ich selbst keine Texte schreiben kann, habe ich mich also in einem englischen Poetry-Forum auf Suche nach einem Texter begeben. Bis sich Ian Badcoe gemeldet und mir einen Gedichtzyklus geschickt hat. Ich war sofort begeistert.

Wovon speziell?

Ian hat nicht nur eine wunderschöne Sprache, er besitzt immer auch die Gabe für feinen Humor selbst bei eher schweren Themen. Ian ist offen, konstruktiv, kritisch und beim Arbeiten ein wunderbarer kreativer Part, der zum Freund geworden ist.

Was wird mit den Liedern nach dem Konzert in der Tonne passieren? Bislang gibt es fünf über einen längeren Zeitraum veröffentlichte Stücke, inszeniert als Single-Editionen mit aufwändigen Videos im Netz. Der Albumtitel steht: „Be Yourself In 11 Easy Lessons“. Wird es eine CD, Vinyl, ein Stream?

Ich ordne mich in dieser Hinsicht zunächst den neuen Gepflogenheiten unter. Deshalb die Singles und deshalb voraussichtlich im ersten Halbjahr 2023 das Album als digitale Veröffentlichung. Eine physische Variante hätte ich sehr gern, aber ich weiß, wie schwer es ist, sie zu verkaufen. Wenn, dann geht es fast ausschließlich nur noch in Konzerten.

Ist deshalb auch die visuelle Komponente im Netz wichtiger geworden?

Die ursprüngliche Idee war zunächst wirklich die mit den Singles. Aber mir ist natürlich klar, dass die Leute vor allem auf den Plattformen nach neuer Musik suchen. Also wurde es zur Notwendigkeit für mich. Früher habe ich mich davor gescheut, nicht zuletzt aufgrund des harten finanziellen Aufwandes. Worauf ich aber von Anbeginn geachtet habe, ist die ästhetische Form der Videos. So, wie es für mich immer gut klingen muss, soll es auch qualitativ gut aussehen.

Das jüngste Video zu „End Of Days“ entstand auf Basis von Crowdfunding, mittlerweile eine gängige Praxis im freien Kulturgeschehen. Was war daran schön, was hat vielleicht genervt?

Ich finde die Idee des Crowdfundings, also die Fans direkt einzubeziehen, generell gut. Es ist ein richtiger Weg, wenn man denn eine ordentlich große Fanbasis hat. Es gibt Schlechteres, als Menschen direkt ins Boot zu holen, die deine Musik mögen. Amanda Palmer sagt es so schön. Sie hätte ein Geschenk anzubieten in Form eines Liedes oder einer Platte, es wäre ja kein Betteln. Allerdings darf man den Aufwand, Mittel aus Crowdfunding zu generieren, nicht unterschätzen. Die Plattformen nehmen einen zwar gut an die Hand, aber es ist schon viel Arbeit.

Der Song „Soap Bubble“ ist in den Bildern sehr konkret, auch durch die Zusammenarbeit mit Greenpeace. Warum?

Das Lied beruht auf einem schon veröffentlichten Gedicht Ian Badcoes, das sich eigentlich aufgrund seiner Form nicht unbedingt für einen Song anbietet. Es ist sehr lang, mit viel Text, ohne Reim und Chorus. Aber es behandelt ein wichtiges Thema, das mich persönlich seit Jahren umtreibt. Ich sympathisiere mit den Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation oder von Extinction Rebellion, wobei mir selbst eher der Mut fehlt, dort mitzutun.

Es gibt im Netz auch eine sehr schöne zurückgenommene Version dieses Stücks mit dem Gitarristen Reentko Dirks.

Es war eine wunderbare Arbeit. Wir kennen uns ja noch vom Studium an der Dresdner Musikhochschule und ich schätze an Reentko, dass er als Akustikgitarrist Rock’n’Roll hat, wenn es drauf ankommt. Das haben nicht viele.

Hallam London live, Donnerstag, 20 Uhr, Jazzclub Tonne

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